MARO feiert Jubiläum
Zehn Jahre – zehn Helden
10. und letzte Folge

Inge Schmidt-Winkler: „Ohne die Menschen hätten wir es nie geschafft“

von Jutta Baltes, 28.07.2023

Inge Schmidt-Winkler beim Fest zum 10jährigen Jubiläum der MARO im August 20222 /Fotografie Tanja Schmid

Sie ist seit dem ersten Tag dabei: Als sie mit der Idee von Martin Okrslar in Berührung kam, in Bayern auf dem Land ambulant betreute Wohngemeinschaften und bezahlbare Mehrgenerationen-Projekte zu bauen, ließ sie sich sofort begeistern. Inge Schmidt-Winkler ging den nicht immer leichten Weg vom ersten Schritt an mit, die Genossenschaft aus der Taufe zu heben. Heute trägt sie mehr denn je dazu bei, dass sich die MARO immer weiter entwickelt.

Von Beginn an war sie überzeugt von der Genossenschafts-Idee – und davon, dass neue Wohnkonzepte nicht nur einfach neue Konzept sind, sondern dass mit ihnen nicht weniger als die Frage: Wie wollen wir eigentlich leben? berührt wird. Und sie findet, dass die MARO bei dieser Frage schon einige Antworten gefunden hat – aber noch lange nicht alle, die sich noch finden lassen. 

Inge Schmidt-Winklers Gedanken bilden den Abschluss der kleinen Serie, die wir aus Anlass des zehnjährigen  Bestehens der MARO hier verwirklicht haben. Am 21.08.2012 wurde die MARO-Genossenschaft gegründet, wir haben seit Juli 2022 zehn Heldinnen und Helden vorgestellt, die mit der Geschichte der MARO eng verbunden sind. In der ersten Folge ließ Martin Okrslar alle Leser*innen an seinen Erinnerungen teilhaben, heute – als Abschluss – hat sich seine Vorstands-Kollegin Inge Schmidt-Winkler dazu bereit erklärt.

„Kennengelernt habe ich Martin Okrslar über eine Studentin, die ich im Rahmen meines frühere Jobs beraten habe. Sie erzählte mir etwas von seinen Plänen, ambulant betreute Demenz-Wohngemeinschaften auf dem Land zu ermöglichen. Und da ich mit dem Thema „Pflege“ durch den Beruf meiner Mutter praktisch aufgewachsen war, wusste ich gleich: Den muss ich kennenlernen. 

Unsere ersten Treffen fanden buchstäblich am Küchentisch statt, und wir haben viele Ideen gewälzt und verworfen, bis wir sicher waren, dass der beste Weg für die Verwirklichung unserer Pläne über die Gründung einer Genossenschaft führt. Als wir dann einen Ausflug unternommen haben, um uns eine Demenz-Wohngemeinschaft in Kleinostheim anzusehen, wusste ich: Das will ich machen! Schließlich hat man ja genau ein Arbeitsleben und nach meinen vorherigen Arbeitgebern stellte sich schon die Sinnfrage. Mir war klar hier kann ich wirklich was bewegen und auch ein Unternehmen anders gestalten, als ich es aus den Konzernen kannte. 

Die ersten Jahre war quasi alles aufregend und spannend, beim ersten Notartermin war ich richtig nervös, und dass man in einer Gemeinderatssitzung nicht beliebig seinen Senf dazu geben darf, hab ich schnell gelernt. Bis heute finde ich die Sitzungen immer sehr spannend. Es war ja auch alles neu, Fachtage, Händeschütteln, politisches Hickhack. Wir sind immer aufgefallen, weil wir nicht im schwarzen Anzug und Kostüm zu den offiziellen Terminen gegangen sind. Mir war immer der Bauhelm und der blumengeschmückte Spaten lieber, dieses Gefühl, wenn ein Projekt losgeht, einem bewusst wird „wir machen das wirklich“ oder dann nach ein paar Monaten endlich durch den Rohbau laufen, aufs Dach klettern um dann zu sehen mit welcher Freude unsere Mitglieder in ihr neues Zuhause einziehen.

Das Thema „Bau“ hat mich schon immer fasziniert – bis zum Abi wollte ich Architektur studieren, nur für das Zeichnen fehlte mir die Begabung, das waren halt noch Zeiten ohne PC.

Heute arbeite ich mich gern in komplexe technische Prozesse und Bauteillösungen ein – wie Tragwerkskonstruktionen oder Abflusssysteme zum Beispiel – und ich finde das wirklich total spannend! Unsere Arbeitsteilung im Vorstand ist daher genau richtig: Während Martin Okrslar sich vor allem um das Projektmanagement kümmert, Susanne Becke um Finanzen, ist einer meiner Schwerpunkte der Bereich „Technik“. Bei unseren Liegenschaftsthemen könnte ich stundenlang fachsimpeln und mal einen Hochzeitstag am Bauschädenforum zu verbringen, hat auch seinen Reiz.

Wenn ich so zurückdenke, dann erinnere ich mich gerne an die vielen bewegenden und herzlichen Begegnungen. Unsere ersten Interessenten, die Nachmittage in der Alzheimer Gesellschaft in Weilheim, die gemeinsamen Vorbereitungen zum 5 Jährigen in der Glentleitn. Oder unsere ersten MARO Feste zum Spatenstich oder Hebauf. Da waren mein Mann und ich oft schon früh auf den Beinen, haben die Kuchen vom Konditor geholt, noch bei der Blumendeko geholfen und dann abends bis Mitternacht das Geschirr gespült – durfte ja alles nix kosten und sollte trotzdem für die Gäste ein schönes Fest sein. Da fand dann oft die Party in der Küche statt und auch die echten Begegnungen, daran erinnere ich mich sehr gerne – ok, das heute der Caterer das Geschirr mitnimmt, fehlt mir nicht. 

Als Team durften wir an so vielen wertvollen Momenten und Ereignissen teilhaben: Als wir beispielsweise in der Corona-Zeit eine Dankeschön-Postkarte von den Angehörigen aus einer Demenz-Wohngemeinschaft erhielten, hat mich das zu Tränen gerührt. Hinter diesen Erlebnissen steht für mich ganz viel Dankbarkeit. Aber auch das Gefühl, dass wir etwas bewirkt haben.

Anfangs haben uns viele für unser Vorhaben, genossenschaftliches Wohnen und Demenz-Wohngemeinschaften auf dem Land zu verwirklichen, belächelt. Doch dann haben wir plötzlich den Preis „Land der Ideen“ gewonnen – und von da an begann es, sich zu verändern. 

Heute fragen Fachstellen und Ministerien, Bürgermeister und Initiativen aus ganz Deutschland bei uns an, hören sich unsere Ideen und unsere Konzepte an und holen sich sogar bei uns Rat. Ich denke, die MARO hat es schon ganz gut geschafft, nicht nur Wohnraum zu schaffen, sondern Lebensraum. Diese Entwicklung macht mich sehr stolz und glücklich.

Doch eins ist auch klar: Ohne die vielen Menschen, die uns geholfen haben, die Steine, die auf unserem Weg lagen, wegzuräumen, hätten wir es nie geschafft. Diese Menschen gab es in allen Bereichen – auf Behörden- und Regierungsebene, in den Rathäusern  – und natürlich in den eigenen Reihen. Bei unseren Mitgliedern, bei den Aufsichtsrät*innen und auch bei einigen Geschäftspartnern konnten und können wir auf Unterstützung bauen. Dafür bin ich sehr sehr dankbar!

Und das Team? Ich habe zusehen dürfen, wie wir zusammen wachsen, und dass wir alle am selben Strang ziehen. Jede*r einzelne trägt das Konzept mit – und jede und jeder will die MARO in seinem Bereich noch besser machen. Sagen zu können, wir haben ein Team, das geschlossen eine Wahnsinns-Idee realisiert, das gibt’s wirklich nicht oft. Außerdem ist die MARO für mich auch ein Stück weit so etwas wie Familie. 

Wenn ich an die Zukunft denke, dann wünsche ich mir, dass wir die Stärke unserer Genossenschaft immer besser auch in den (Bau-) Konzepten verwirklichen. Meine Vision ist, dass irgendwann mal der Strom vom Dach in den Keller ins Sharing-E-Auto fließt. Für mich bedeutet Genossenschaft auch die Besinnung auf alte tragfähige Werte „gemeinsam etwas schaffen, das für den Einzelnen nicht möglich wäre“. Dieser Grundsatz trägt für mich wichtige Werte wie Solidarität, Pioniergeist, die Gemeinschaft in den Vordergrund zu stellen und als Vorstand mit dem Blick auf das große Ganze zu handeln. Was nicht immer leicht ist, wenn man Budgetgrenzen einhalten muss, obwohl man selbst am liebsten auf dem großen Abenteuerspielplatz schaukeln möchte.

Bei all dem spielt es eine Rolle, dass wir lernen, über unseren eigenen Gartenzaun hinaus zu denken. In Zukunft wird es für die MARO viel stärker auch um Quartiersentwicklung gehen, darum, wie wir gemeinsam Lebensraum schaffen. Es braucht neue Wege und neue Konzepte, es geht um Fragen wie: Wie schaffen wir es, dass wir die Bedürfnisse der Generationen am Wohnort vereint bekommen? Wie erreichen wir eine bessere Inklusion der Betroffenen und eine Entlastung der Pflegenden Angehörigen? Welche Wohn-Lebens-Arbeits-Konzepte entwickeln wir für die Zukunft? Wie bekommt man Quartierslösungen für Energie? Wie schafft man die Revitalisierung im Ortskern mit Nahversorgung, Arztpraxen, Kinderbetreuung und andere Dienstleistungen? 

Ich sehe die Zukunft der MARO in der Entwicklung solcher Quartierskonzepte. Gerade arbeiten wir an einem „Bergsteigerhaus mit Hütte im Tal“ einer Idee, die durch aktive Bürgerbeteiligung geboren und einen Projektbeirat ausgearbeitet wird. Es sind diese Abende mit Butterbreze und guten Gesprächen, die bürgerschaftliches Engagement in seiner ganzen Stärke erlebbar machen. 

Und ich möchte gerne dazu beitragen, dass die MARO Wegbereiterin für diese Ideen wird. Die Reise ist für die MARO noch lange nicht zu Ende, wir haben schon so viel geschafft – und wir schaffen noch viel mehr. Das treibt mich an, und ich bin dankbar, dass ich den Weg weiter mitgehen kann. Und natürlich bin ich auch gespannt, wo unsere Reise noch hingeht.“

Die übrigen Folgen der Serie „Zehn Jahre – zehn Helden“ sind hier nachzulesen:
Folge 1: Martin Okrslar
Folge 2: Christine Fremmer
Folge 3: Jutta Ruffing
Folge 4: Marianne und Josef Geith
Folge 5: Rechtsanwalt Dr. Andreas Förster
Folge 6: Alt-Bürgermeister Franz Göbl
Folge 7: Vlasta Beck
Folge 8: Roman Dienersberger

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert