Fünfköpfige Familie aus MARO Projekt schaffte das Auto ab

„Es war sehr befreiend“

von Jutta Baltes, 12.10.2023

Auch im Urlaub auf großer Fahrt mit dem Rad: Pausen waren wichtig

Drei Kinder – und kein eigenes Auto? Den fahrbaren Untersatz ganz bewusst vor ein paar Monaten abgeschafft – und das nicht mitten in München, sondern in einer oberbayerischen Kleinstadt? Für viele Menschen ist das undenkbar. Nicht aber für eine Familie, die in einem der MARO-Projekte wohnt. Sie hat ihren großen vor wenigen Jahren gebraucht gekauften Siebensitzer verkauft und ist komplett auf Fahrrad, öffentliche Verkehrsmittel und nicht zuletzt aufs Carsharing umgestiegen. 

Ohne Carsharing, erzählt der Familienvater, wäre die Entscheidung vielleicht anders ausgefallen. Und seine Partnerin pflichtet ihm bei: „Es ist wichtig zu wissen, dass wir im Notfall ein Auto zur Verfügung haben!“ – Aber es müsse eben nicht das eigene sein. 

Schon früh hat die MARO einen Carsharer mit ins Boot geholt: In vielen Bestandsprojekten stehen Carsharing-Fahrzeuge vor der Haustüre oder in der Tiefgarage. In neuen Projekten gibt es das so genannte MARO Mobilitätskonzept, das den Mietern die Mitgliedschaft beim Carsharing zum Teil sogar vorschreibt. Einer der Gründe ist: Die Mieten können günstiger kalkuliert werden, wenn beim Bau auf Tiefgaragenstellplätze verzichtet wird.

„Eigentlich sind wir schon immer eine Fahrradfamilie gewesen“, sagt die Neu-Penzbergerin, die seit einigen Monaten kein eigenes Auto mehr besitzt. Ihre  Kinder sind zwei, acht und 14 Jahre alt. Schon seit einer ganzen Weile erledigt die Familie Fahrten am Ort nur noch mit dem Rad. Ob es zur Schule oder in den Kindergarten geht oder ob der Älteste für sich einkaufen oder sich mit Freunden treffen möchte. Auch die Erwachsenen nehmen zum Einkaufen und für den Weg zur Arbeit das Fahrrad und /oder den Zug. 

Das war nicht immer so. Vor dem Einzug im MARO-Projekt in Penzberg wohnte die Familie in Wolfratshausen. Von Wolfratshausen bis zu ihrer Arbeitsstelle hätte die 34Jährige eine Stunde mit öffentlichen Verkehrsmitteln gebraucht: „Da war ich ja genauso schnell mit dem Rad!“, sagt sie. Das Ergebnis jedoch war: Weil es einfacher war, fuhr sie meistens mit dem Auto.

„Es war schon gut, dass wir das Auto damals hatten“, räumt sie ein. „Aber es hat einfach keine Freude gemacht, Auto zu fahren. Es war jeden Tag Staustress zur Autobahn und von der Autobahn runter, dazu dann der Stress bei der Parkplatzsuche. Vielleicht“, sagt sie im Rückblick, „war das eine eingebildete Freude am Autofahren.“ Doch eines war schon damals klar: Weite Fahrten – etwa zu den Verwandten in Nordrhein-Westfalen und Norddeutschland – wurden mit dem Zug gemacht. „Das ist viel entspannter als mit dem Auto. Die Kinder können im Zug rumlaufen und man kann sich besser zusammen beschäftigen.“

Ihr Partner und Vater der jüngsten Tochter hatte allen aber eines schon voraus: Er wohnte längere Zeit in München und kannte die Sache mit dem Carsharing schon. „Das war einfach nur genial“, sagt er. Man habe eine Riesenauswahl an Fahrzeugen gehabt – vom großen Transporter für den Umzug bis zum Kleinstwagen oder Cabrio  – alles stand zur Verfügung. „Ich brauchte wirklich kein eigenes Auto. Und in München ein eigenes Auto zu haben, ist ja eigentlich sowieso Blödsinn.“

Doch zunächst sei es einfach unrealistisch gewesen, auf ein Auto zu verzichten, deshalb kaufte die Familie noch im Jahr 2020,  kurz vor dem Ausbruch der Pandemie, einen großen gebrauchten Siebensitzer mit viel Platz für die wachsende Familie. Denn der letzte Schritt sollte gut überlegt sein. 

Und wie war es dann, als dieser Schritt gegangen und der Wagen endgültig verkauft war? 

„Es war sehr befreiend“, sagt die Penzbergin sofort. „Es war schön, keine Verpflichtungen mehr zu haben“. Fragen wie: Wann muss der Wagen zur Werkstatt? Welche Versicherung schließt man ab? Wo findet sich ein Platz für die Lagerung der Winterreifen? Verschwanden einfach aus dem Leben. Aber auch der finanzielle Aspekt dürfe nicht außer Acht gelassen werden, finden beide. „Das Auto ist eine Blackbox“, sagt er. „Und man kauft ein Auto immer nach dem Maximalbedarf. Wir haben aber jetzt die Erfahrung gemacht, dass bei 95 Prozent der Fahrten das kleinste Carsharing-Auto ausreicht.“

Eine Menge Fahrten werden von der Familie auch mit dem Lasten-E-Bike erledigt. Wie viele Fahrten es tatsächlich bislang gewesen sind, zeigt der Kilometerstand des E-Bikes: Stolze fünftausendfünfhundert Kilometer hat der kleine Fahrradcomputer seit der Anschaffung vor zwei Jahren registriert. 

Einen großen Batzen davon haben die beiden Urlaube „verbraucht“ – denn sowohl an Pfingsten war die Familie mit den Rädern unterwegs, als auch in den Sommerferien. Zuletzt stand die „Transalp“ auf dem Programm – und natürlich waren alle drei Kinder mit dabei. Für den sportlichen 14jährigen Sohn war das Pensum kein Problem und die Jüngste fuhr im Anhänger oder auf dem Lastenrad mit. Aber auch das achtjährige Mädchen trat über weite Strecken selbst in die Pedale. Aber: Nur, so lange sie Lust dazu hatte. 

Wollte sie nicht mehr fahren, wurde das Kinderfahrrad in den Anhänger gepackt, die Jüngste wechselte von dort auf das Lastenrad bei Papa. Oberste Regel der Familie war ohnehin: Keine Kilometer-Fresserei um jeden Preis und schon gar kein Druck. Alle sollten auf ihre Kosten kommen und Spaß haben.

„Aber es war auch toll zu beobachten, dass die Kinder sich auch selbst motiviert haben“, sagt die Penzbergerin. So wollte der älteste Sohn am Ende der zweiten Reise unbedingt noch einmal über die Grenze nach Italien fahren, so dass die Familie ihre Reisepläne kurzfristig einfach änderte. Und seine Schwester ist ganz schön stolz darauf, dass sie auf der steilsten Strecke mehr Höhenmeter geschafft hat, als bei der letzten Tour.  

Eins jedoch steht für die Eltern bei allem Ehrgeiz felsenfest: „Wir richten uns nach den Kindern und halten einfach an, wenn es gut für alle ist –  und natürlich, wo es für uns alle schön ist.“

Die Rückfahrt trat die Familie dann mit öffentlichen Verkehrsmitteln an, in Garmisch stiegen alle wieder aufs Fahrrad um. Und diese letzte Fahrt des Urlaubs wird allen wohl im Gedächtnis bleiben. Denn an diesem Tag wütete das Unwetter in der Region, das in manchen Orten so viele Schäden verursacht hat. 

Die Familie war unterwegs, verfolgte das Unwetter auf der Wetter-App des Handys aber ganz genau – und suchte sich rechtzeitig einen sicheren Unterschlupf. 

„Ich habe mir schon überlegt, ob ich mich mit meinen drei Kindern sicherer in einem Auto gefühlt hätte“, sagt die Penzbergerin. „Aber eigentlich weiß ich nicht, ob wir bei der Fahrt mit dem Auto das Wetter so gut im Auge gehabt hätten, wie bei der Radtour. Als ich später die kaputten Autos gesehen habe, habe ich mir vorgestellt, zusammen mit den Kindern in so einem Auto zu sitzen: Wir hätten das alles miterlebt und das ist keine angenehme Vorstellung.“

Nach allen bisherigen Erfahrungen fühlt sich für die Familie aus dem Penzberger MARO Projekt der Entschluss, das eigene Auto abzuschaffen, noch immer gut und richtig an. Immer wieder werde ihnen vorgehalten, dass man mit dem eigenen Auto auch ein großes Stück seiner Freiheit aufgebe, erzählt das Paar. Aber für die Mutter der drei Kinder steht fest, dass das nicht stimmt. Man müsse einfach nur besser planen und mehr Rücksicht aufeinander nehmen – was das Leben langsamer, aber auch entspannter mache – und vieles erst erlebbar. Richtig schwierig seien eigentlich nur spontane Fahrten zum Einkaufen – etwa wenn man Möbel kaufen wolle, die transportiert werden müssen. Doch für sie steht fest: „Meine Freiheit ist, wenn man es genau betrachtet, nur insofern eingeschränkt, dass ich mir nicht jedes Konsumbedürfnis sofort erfüllen kann.“

Übrigens: Die Penzbergerin schreibt gerade an einem Radführer für Familien. „Familienradeln Oberbayern“ wird er heißen und im Frühjahr 2024 im Bruckmann Verlag erscheinen.

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