Warum eigentlich MARO-Wohngemeinschaft?

Menschenwürdig, selbstbestimmt – und die Angehörigen haben das Sagen

von Jutta Baltes, 20.07.2023

Alltagsbetreuung in der MARO-Wohngemeinschaft: Das ist so viel mehr als Pflege

„Das wäre die größte Strafe“, antwortete vor kurzem eine Bewohnerin der Wohngemeinschaft „Mosaik“ in Dietramszell auf die Frage ihrer Tochter, ob sie wieder zurück in ihre eigene Wohnung gehen wolle. Beide sind froh, dass die an Demenz erkrankte 80jährige in einer der bisher sechs bestehenden ambulanten Demenz-Wohngemeinschaften der MARO einziehen konnte. „Es ist die einzige menschenwürdige Wohnweise im Alter, wenn man nicht mehr alleine leben kann.“

Eine andere Angehörige pflichtet ihr bei. „Das Konzept ist richtig!“, davon ist auch sie überzeugt. Sie hat sich vor etwa vier Jahren für dieses Konzept entschieden – seitdem wohnt ihr Angehöriger in einer der ältesten MARO-Wohngemeinschaften.

Im Konzept der MARO geht es in erster Linie darum, Menschen, die an Demenz erkrankt sind, ein möglichst selbstbestimmtes Leben zu ermöglichen – in einer kleinen Einheit mit höchstens zehn Zimmern und in einem Umfeld, das ihren Bedürfnissen gerecht wird. 

Dieses Konzept hat die MARO nicht erfunden – auch andere Einrichtungen bieten Demenz-Wohngemeinschaften an. Doch was genau macht die MARO anders als andere? Vlasta Beck: „Der größte Unterschied ist, dass es keinen eigentlichen Träger gibt.“ Und keinen Träger zu haben – das bedeutet im Klartext, dass weder ein Pflegedienst noch eine kirchliche Einrichtung, noch eine andere Organisation das Sagen in der Wohngemeinschaft hat. Auch die MARO Genossenschaft ist in dieser Konstruktion nur Vermieter: „Die Genossenschaft hat in dieser Rolle ihre Rechte und Pflichten, mischt sich aber nicht ein!“

Vlasta Beck, die bei der MARO für die Organisation der Demenz-Wohngemeinschaften zuständig ist, weiß genau, wovon sie spricht. Denn sie hat das Konzept maßgeblich mit entwickelt, doch fertig ist sie damit nicht: Sie arbeitet immer weiter daran, greift dabei auf einen schier unerschöpflichen Schatz an Erfahrungen zurück. 

Sicher ist: Die Verantwortung trägt in diesem Konzept das Angehörigen-Gremium. Es ist meist als GbR organisiert und hat eine eigene Satzung. Natürlich gibt die MARO den Angehörigen alle Hilfen an die Hand, die sie brauchen, sagt die MARO-Fachfrau. Es gebe beispielsweise eine Mustersatzung der Genossenschaft, in der das Konzept der Wohngemeinschaften grob skizziert ist. Auch beim Ministerium könne das Gremium eine solche Vorlage finden, beides kann dann an eigene Erfordernisse angepasst werden. Auch sehr wichtig ist, dass das Gremium über mögliche Fördermittel informiert wird. Beantragen müssen die Angehörigen diese Förderung dann selbst – natürlich gibt es hier ebenfalls Hilfestellung.

Bis sich das Gremium gebildet hat, ist Vlasta Beck „die“ Beraterin und Ansprechpartnerin für die Angehörigen. Danach übernehmen in regelmäßigen Treffen externe Moderatorinnen – zwei Jahre lang. Nach dieser Zeit steht den Gremien wieder Vlasta Beck zur Seite – wenn es gewünscht wird. „Es ist wichtig, dass sie weiter Unterstützung bekommen, wenn sie sie brauchen.“, sagt sie. Für sie und die MARO ist das Standard – aber es ist auch besonders. Auch, weil die Gremien mit ihr bei allen Problemen eine feste Ansprechpartnerin haben.

„Das Gremium lenkt die Geschicke der Wohngemeinschaft!“, so beschreibt Vlasta Beck die Arbeit der Angehörigen. Denn: Nicht der Pflegedienst legt fest, wie der Alltag der Bewohnerinnen und Bewohner aussieht – es sind die Angehörigen selbst. Das reicht vom Speiseplan bis zur Entscheidung, welcher Pflegedienst überhaupt eingestellt werden soll und betrifft auch die Frage, wer in ein frei gewordenes Zimmer einziehen darf. „Wir als MARO beeinflussen diese Entscheidungen überhaupt nicht!“

Für viele Pflegedienste ist das neu. Auch, dass der Schwerpunkt ihrer Arbeit entsprechend dem MARO-Konzept nicht beim Thema „Pflege“ endet. Denn in den Wohngemeinschaften der MARO steht das im Mittelpunkt, was meist als „Alltagsbetreuung“ bezeichnet wird: Das all-tägliche Leben der Menschen mit Demenz also und alles, was damit zusammenhängt. Pflegedienste sind gehalten, neben dem Pflegekonzept auch ein Konzept für die Alltagsbegleitung im Auge zu haben – für jede einzelne Bewohnerin. 

Dass das nur gelingen kann, wenn Pflegedienst und Angehörigen-Gremium eng zusammenarbeiten und einen guten und dauerhaften Austausch pflegen, liegt auf der Hand.  „Jede Wohngemeinschaft ist so gut oder schlecht wie gut oder schlecht diese Zusammenarbeit ist“, sagt Vlasta Beck. Vor dem Hintergrund, dass Pflegedienste mit Problemen wie massivem Personalmangel und geringen Verdienstmöglichkeiten zu kämpfen haben, wird auch für die Gremien die Kommunikation nicht leichter. „Es darf einfach keine Einbahnstraße sein“, rät Vlasta Beck. 

„Ich habe meinen demenzkranken Angehörigen hier ja nicht einfach abgegeben“, sagt das Gremiumsmitglied, deren Angehöriger schon seit Jahren in einer Wohngemeinschaft lebt. Heißt: Sie will sich weiter kümmern, möchte das Leben der erkrankten Person weiter mit gestalten. „Es ist schön, dass man im Gremium mitwirken kann!“

Aber auch sie hat erfahren, dass es immer Gespräche braucht – und zwar immer wieder aufs Neue. Oft entstehe eine Art „Schaukeleffekt“: Man spreche miteinander, finde einen guten Weg ,es laufe eine Weile sehr gut, dann flauen die Bemühungen wieder ab. Meist gehe es genau um die Themen rund um Alltagsbeschäftigung und Mitwirkung im Haushalt. „Wir im Gremium denken manchmal, es passiert zu wenig.“ 

Im Laufe der Jahre, sagt sie, sei aber auch klar geworden, „mit welchen romantischen Vorstellungen wir das Konzept verbunden haben.“ Die beschriebenen Probleme des Pflegedienstes versteht sie mittlerweile sehr gut, auch deshalb sei der gemeinsame Weg nicht immer leicht. Das Konzept der Wohngemeinschaft und die Wünsche der Angehörigen, sagt sie, „stehen der Bereitschaft der Pflegedienste oft gegenüber. Und das ist sehr traurig!“ 

Trotz aller Probleme und nicht realisierbarer Wünsche: „Es liegt für mich ganz klar auf der Hand, dass die Wohngemeinschaft die beste Wahl gewesen ist.“ Das findet auch die Angehörige aus Dietramszell. Ihre Mutter habe in den Monaten, bevor sie einziehen konnte, auch seelisch stark abgebaut, die sonst noch immer aktive Frau sei nicht mal mehr vor die Tür gegangen. Nun aber ist das wieder anders: „Jetzt strahlt sie nur noch!“ 

Ihr Umzug in die Wohngemeinschaft ist noch nicht allzulange her, die Tochter hat also auch noch nicht viele Erfahrungen im Gremium sammeln können. Aber sie freut sich, dass sie nun dazu gehört und über das Leben in der Wohngemeinschaft mitbestimmen kann. „Für mich ist das ein sehr großartiges Konzept!“ Auch in ihrem eigenen Leben hat der Umzug eine Menge verändert. „Ich habe im Kopf zwei Leben geführt und war unendlich erschöpft“, sagt sie. „Jetzt kann ich mehr loslassen und mich langsam wieder auf mich und mein Leben besinnen.“ 

Zusammen genießen diese Bewohner*innen aus Dietramszell das Wetter auf der Terrasse

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