Windacher MAROs plaudern aus dem Nähkästchen

Gemeinschaft muss man wirklich wollen – und es will gelernt sein 

von Jutta Baltes, 08.06.2023

Gemeinsame Gartenarbeit im „Alten Pfarrhof“ in Windach: Was hier so idyllisch aussieht, brauchte viele Gespräche

Wie klappt eine Hausgemeinschaft? Um dieser Frage nachzugehen, finden sich an einem Abend Ende Mai sieben Bewohnerinnen im Gemeinschaftsraum des Windacher MARO-Projekts „Alter Pfarrhof“ ein. Sogar eine Jugendliche ist mit von der Partie – und sie hat ihren Freund auch gleich mitgebracht. 

Das Fazit der 19jährigen ist erstmal ernüchternd. Sie könne sich für ihre eigene Zukunft eigentlich eher nicht vorstellen, in einem Mehrgenerationen-Projekt zu wohnen, sagt sie ehrlich. „Für mich wäre das nichts. Ich bin sehr gerne für mich.“ Außerdem, bekennt sie freimütig, ist ihr der Druck, sich am Gemeinschaftsleben beteiligen zu müssen, zu groß. „Ich glaube, ich würde mir andauernd einen Kopf deswegen machen.“

Die anderen Bewohnerinnen am Tisch reagieren erstmal überrascht. Doch natürlich wissen sie hier am besten, dass nicht jede Person für das Zusammenleben in einem Mehrgenerationen-Projekt geeignet ist – und es auch nicht sein muss: „Die Kernaussage ist: Gemeinschaftliches Mehrgenerationen-Wohnen muss man wollen, sonst klappt es nicht.“

Und die Menschen, die sich in Windach im „Alten Pfarrhof“ zusammengefunden haben, wollten. Von Anfang an. Dass sie die ersten fünf Jahre als homogene Gruppe zusammengeblieben sind, habe geholfen, sagt eine der Bewohnerinnen. So konnte man lernen. Und gemeinsam Wege beschreiten, die zu Beginn des Zusammenlebens vielleicht sinnvoll waren – sich aber am Ende ganz und gar nicht bewährten. 

Denn: Im Gegensatz zu den jüngeren Hausgemeinschaften in den Projekten der MARO, gab es zum Zeitpunkt, als der „Alte Pfarrhof“ entstand, noch keinen ausgearbeiteten MARO Bewohnerprozess. Man habe sich zwar schon lange vor dem Einzug getroffen, sich kennen gelernt und auch vieles besprochen – aber auf ein strukturiert ausgearbeitetes Konzept für die Hausgemeinschaft konnte man nicht zurückgreifen.  

Das erarbeiteten sich die Windacher selbst: Etwa, mit welcher Mehrheit die Hausgemeinschaft Beschlüsse fasst oder wie die Arbeiten aufgeteilt werden, die das ganze Haus betreffen. „Wir waren am Anfang eher restriktiv“, erinnert sich eine Bewohnerin, „und das war damals gut. Wir wollten es auch so haben.“

Ein Beispiel? – Gartenarbeit: Früher habe jeder und jede im Garten mitarbeiten müssen, und zwar eine festgelegte Anzahl an Stunden. Man habe sogar kurzzeitig darüber nachgedacht, ob nicht abgeleistete Stunden mit einer Zahlung in die Hauskasse ausgeglichen werden sollten. Die Idee wurde am Ende nicht umgesetzt, doch eine der Frauen erinnert sich nicht gerade gerne an diese Zeit. „Das war Hardcore“, sagt sie, und bekommt Unterstützung von einer ihrer Nachbarinnen: „Es war schrecklich. Ich mag einfach keine Gartenarbeit!“

Im Haus führten die strikten Regeln zu Stress und Unmut. „Das hat dem Haus nicht gut getan“, erzählen sie. „Es gab eine richtige Krise – aber wir sind auch wieder herausgekommen.“

Doch alle, die am Tisch sitzen sind sich trotzdem einig: Von heute aus betrachtet habe die rigorose Struktur jedenfalls dazu geführt, „dass wir uns so organisieren konnten, wie wir es heute sind.“ Anfangs habe man sich Personen gewünscht, „die die Führung übernahmen“, und alle hätten die Regeln ja auch gut gefunden. 

Denn: Organisation und der Wille, mitzuwirken, Toleranz zu zeigen und sich am Wohl der Gemeinschaft zu orientieren, bilden heute die Grundlage des Zusammenlebens. Und genau diese Basis mussten die Windacher sich erst einmal erarbeiten – als Gemeinschaft, und auch jede und jeder für sich. „Wir haben viel gelernt“, sagt eine der Frauen aus der Runde. „Heute können wir das Gelingen der Hausgemeinschaft über die eigenen Belange stellen.“ 

Wie das genau geht? „Es ist immer try and error.“ So auch beim Beispiel Gartenarbeit: Die Gruppe hat heute eine Lösung gefunden, die allen gut tut: In der AG Garten gibt es ein festes Team, das auch wirklich gerne im Garten arbeitet. „Keiner muss machen müssen“, sei die Devise – die heute auch für alle anderen gemeinschaftlichen Aufgaben gilt. 

Das bedeutet im Klartext: Alle engagieren sich, wie und wo sie möchten – und in welchem Umfang sie es können -, immer zu mehreren, mindestens im Zweierteam. Und weil das so ist, können sich die anderen darauf verlassen, dass alles auch erledigt wird. 

„Mich entlastet das, wenn ich weiß, dass mein Nachbar den Müll rausstellt und ich mich darum nicht kümmern muss!“, sagt eine Bewohnerin. Was auch aufgrund des gewonnen Vertrauens ganz selbstverständlich funktioniert: Fällt jemand aus, findet sich immer sofort jemand, der einspringt. 

Klingt gut? „Ja – aber wir haben auch eine gute Schule hinter uns.“  Wie man gut miteinander redet, wie man mit Konflikten umgeht, wie man sich überhaupt einig wird, wenn es um die Belange der Hausgemeinschaft geht, diesen Fragen haben sich die Windacher immer wieder gestellt. 

Eine ihrer Lösungen: Alle wichtigen Themen werden in der Hausversammlung besprochen. Und für jede Versammlung gibt es eine feste Agenda. Die wird etwa zwei Wochen vor der Sitzung von den Haussprecherinnen ausgearbeitet und samt Beschlussvorlagen an alle Bewohner*innen verschickt. Diese haben dann Zeit, Einwände zu machen oder eigene Themen anzubringen. In der Sitzung selbst kommt nur zur Sprache, die auf der Liste steht. Unter „Sonstiges“ können noch Kleinigkeiten abgehandelt werden, doch weitere Themen – oder solche, bei denen es keine Einigung gibt – werden schlicht vertagt. „Schnellschüsse sind nicht gut. Das haben wir erst lernen müssen.“

„Wir haben jetzt eine gute Routine gefunden“, sagt eine der Frauen. Geholfen hat, dass schwierige Sitzungen, bei denen es Streit gab, von der Gruppe analysiert wurden. Und dann zog man Schlüsse: Zum Beispiel, dass es manchmal besser ist, bei einem Konflikt das persönliche Gespräch zu suchen. „Denn wenn die Gruppe eine Person angreift, dann hat diese Person ja schon verloren.“ 

Eine der Gesprächspartnerinnen denkt eine Weile nach und sagt dann: „Ich glaube, wir sind an vielen Stellen ziemlich sensibel geworden und spüren inzwischen schon früh, wenn etwas nicht stimmt.“ So könne man schon nach Lösungen suchen, bevor ein Problem eskaliert. Alle in der Runde stimmen mit bekräftigendem Nicken zu. Wichtig dabei auch: „Wir haben hier keine Querschläger. Das ist ein großes Glück!“

Das heißt aber nicht, dass es im Haus nun keine Diskussionen mehr gibt. Schließlich haben auch die Windacher Themen, die neu auftauchen oder einfach nie geklärt wurden. Gerade aktuell ist es das Thema „Kinder im Haus“: Zwei neue Familien ziehen gerade ein und mit ihnen nun auch wieder jüngere Kinder. 

Schon jetzt wird klar: Über Kinderlärm oder die Frage, ob Kinder im Garten Fußball spielen dürfen oder nicht, gibt es verschiedene Meinungen. Doch niemand hier scheint Zweifel daran zu haben, dass sie gemeinsam wieder Lösungen finden werden. „Wir haben hier auch Sympathie füreinander und wir gehen nicht aneinander vorbei. Ich finde das ganz wichtig!“, sagt eine der Bewohnerinnen. Hilfreich sei auch eine kräftige Portion Pragmatismus, außerdem ein ziel- und lösungsorientierter Blick auf die Dinge. Eine der Bewohnerinnnen bringt es noch einmal auf den Punkt: „Ich glaube, wir haben verstanden, dass es nicht um gewinnen oder verlieren geht. Wenn man zu egoistisch ist, dann klappt es nicht.“

Fünf Jahre Hausgemeinschaft – das war wirklich ein guter Grund zum Feiern!

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